Prodenda von Stefan Langenbach

Autor: Stefan Langenbach

Heimkehr

Zum Tod meiner Mutter

Die helle Tür zu Wärme, Brot und Wein
Du hast sie richtig gar nicht mehr erkannt
Und doch hast du die Schwelle dann
In deiner Art ganz still und sacht betreten

Vorbei das Wandeln in der Dämmerung allein
Vorbei die grauen Nebel all der langen Tage
Vorbei nur noch mit sich im Geist zu reden

Dass endlich nun mit gütigem Erbarmen sage:
„Komm doch herein in meinen großen, guten Frieden“
Unser aller liebe Mutter –Leben, Gott und Tod

Erleben und Betrachten

Es ist ein Unterschied: Den Tag erleben. Oder das Erleben im Geist betrachten.

Subjekt sein im Geschehen oder Objekt in der Selbstbetrachtung.

Die Möglichkeit sich aus dem Erleben zu lösen und dieses Erleben zu betrachten oder in ein größeres Bild einzuordnen hat ein Kind noch nicht.

Das Kind erlebt die Welt als etwas Äußeres und zunächst Fremdes, das sich vor allem in Angenehmes und Unangenehmes aufteilt. Dies führt zu Wollen und Vermeiden als den beiden wesentlichen Richtungen des selbst steuerbaren Verhaltens, neben dem Dürfen und Müssen als Folge der Fremdsteuerung.

Ein Kind kann in seinem Erleben die Ich-Perspektive nicht willentlich aufgeben. Es ist ganz seiner individuellen Perspektive und Erlebnisweise ausgeliefert.

Mit zunehmendem Alter wächst das Wissen über die Welt, wie auch das Wissen über sich selbst und den Menschen im Allgemeinen.

Trotzdem fällt es noch schwer, sich auch nur zeitweise aus dem Geflecht der eigenen Antriebe, Interessen und Empfindungen zu befreien und eine Position des Überblicks einzunehmen, aus der heraus die gelassene Betrachtung der Welt einschließlich der eigenen Person und des eigenen Ichs möglich wird.

Es ist aber diese über die eigene Person und über die Jetzt-Zeit des Erlebens hinaus und hinweg gehende, also im Wortsinn: transzendentale Betrachtung, in der sich alle Angst und alles Streben in Frieden und Ruhe auflösen können.

Es scheint, dass erst umfangreiche Lebenserfahrung und eine gewisse Milderung des steten Wollens und Wünschens im Älterwerden diese Art der das eigene Ich einschließenden Weltbetrachtung erlaubt.

Das ist auch verständlich: Wer in der Welt ständig um seinen Lebensunterhalt oder seine Position kämpfen muss oder wer noch fernliegende und unerreichte Ziele in der Zukunft verfolgen will, der bleibt wohl eher in der ursprünglich erlebten Konstellation des Ichs im Gegenüber zur Welt. In diesem Gegenüber, in der sich das Ich behaupten muss oder möchte, wird das Erleben geprägt durch positiv und negativ gefühlsbewertete Abweichungen von erwünschten und befriedigenden Zuständen.

Die übergreifende und ganz beruhigte Sicht der Welt als Ganzes mit Einschluss des eigenen Ichs ist sicher nur mit einer Ruhe möglich, in der die Anreize zum ständigen Agieren und Reagieren ausgeblendet werden können.

Dabei ist es erstaunlich: Sowohl das reflexionsfrei unbewusste Erleben des einzelnen Ichs in einem unmittelbaren Flow-Erlebnis, wie auch das absolute Gegenteil des bewusste Betrachtens der gesamten Welt einschließlich des eigenen Ichs können sehr angenehme und befriedigende Erfahrungen sein.

Sowohl in der völligen Immersion in eine Situation, in der alle störenden Reize ausgeblendet und das Verhalten auf Automatik gestellt sind, wie auch in der ruhigen Eskalation des Betrachtens auf eine höhere Ebene, in der alle Kräfte und Einflüsse zu einem Beobachtungsgegenstand werden, ohne aber auf dieser Ebene selbst wirksam zu sein, bleibt sowohl das quälende wie auch das motivierende Empfinden von Diskrepanzen zwischen Soll und Ist, erlebt als Angst und Eifer, dem erlebenden Ich völlig erspart.

Nach der Weihnachtspredigt

Zu Weihnachten erzählen sie in schlecht besuchten Kirchen wieder uralte Geschichten aus der Bibel.

Sie interpretieren die damaligen und damals notwendigerweise naiven Sichten der Welt noch immer so, als seien nicht 2000 Jahre vergangen. Sie sprechen von einem (männlichen) Gott und einem (männlichen) Sohn, und später von einem Geist, als wüssten sie Bescheid.

Sie agieren und sprechen dabei so als ob sie diesen Gott, seine Gedanken und Absichten einordnen und erklären könnten.

Dabei sind die altüberkommenen Glaubensinhalte der Weltreligionen doch so durchsichtig und so leicht zu durchschauen wie die einfachster Naturreligionen. Es sind in der Sache eher irrwitzige Projektionen menschlicher Ängste, Hoffnungen, und moralischer Vorstellungen. Da muss ein Gott seinen Sohn opfern, damit den Menschen vergeben werden kann! Und sie erzählen das, was sie erzählen als Bericht oder wie eine Aussage. Als wären sie dabei gewesen, und als würden sie Gottes archaische Gedanken kennen und verstehen.

Was für eine Anmaßung. Was für ein Irrsinn. Als wären wir der erwachsenen Reflexion unfähig, die doch schon so lange und immer mehr durch Aufklärung und Wissenschaft ermöglicht wird.

Es ist doch so: Was wir wissen und was wir beweisen können, brauchen wir nicht zu glauben. Wenn der Glauben an etwas und das Wissen über etwas im Widerspruch sind, dann muss der Glaube weichen.

Im Grunde hat ein Glaube an bestimmte dogmatische Inhalte schon so lange keinen Platz mehr, auf dem er bestehen könnte. Denn Erkenntnisse genug, um alle Inhalte jeden Glaubens zu überwinden haben wir. Schon lange.

Was bleibt, ist ehrfürchtiges Staunen über die Welt an sich und über unsere bewusste Wahrnehmung. Es bleiben Fragen, für die es keine Antworten gibt.

Unser Leben

Unser Leben, wenn es glückt, gleicht sprühender Gischt in lebhafter Brandung.

Ihr Späteren steigt auf und tanzt, als einzelne Tröpfchen, im frischen Wind fröhlich verwirbelt umeinander her.

Wir Früheren schweben schon – langsam und voneinander wissend – zurück zur großen Mutter Meer.

Dabei sehen wir glücklich zu, wie das Meer immer neue Gischt in die Sonne wirft.